Preisträger BDA-Studienpreis Rheinland-Pfalz 2021

St. Mauritius „Weiterbauen“ in Saarbrücken

Saarbrücken

St. Mauritius „Weiterbauen“ in Saarbrücken

Saarbrücken
Architekt
Jessica Meyer, Technische Universität Kaiserslautern
Betreuung
Prof. Dirk Bayer

Das denkmalgeschützte und 2004 profanierte Kirchengebäude St. Mauritius in Alt-Saarbrücken wurde 1953-1956 errichtet. Schon länger wird der Abriss des leerstehenden Gebäudes diskutiert, doch dem Aussterben von Kirchengebäuden entgegenzuwirken ist ein Ziel, welches verfolgt werden sollte. Der Entwurf stellt beispielhaft die Umnutzung der ehemaligen katholischen Betonkirche zu einem Jugend- und Gemeindezentrum dar. 

Die beiden Architekten Albert Dietz und Bernhard Grothe entwarfen damals ein Gebäude-ensemble aus drei Teilen. Ein fast 10 Meter hoher, sechseckiger Kirchenraum mit Satteldach bildet das Herzstück. Um dieses herum liegt ein flacher, nach innen geöffneter Rundgang, der einen Innenhof bildet und sich an einer Seite mit dem Kirchenraum verbindet. An der Nordseite bildet der 38 Meter hohe Kampanile zugleich den Eingangsbereich in den Innenhof. Der Vorhof mit dem überdachten Rundgang ist vergleichbar mit einem Kreuzgang. Blaue Beton-gussglasfenster sind außenbündig und bodentief in die Waschbetonwand gesetzt. Unter der Überdachung und vor dem Hauptportal ist fließend bis nach draußen zur Strasse Kopfsteinpflaster verlegt, während der restliche Innenhof von Rasen bedeckt ist. Dies vermittelt einladend, dass der Vorhof ein öffentlicher Bereich ist, sowie der Straßenraum. Auch ein schlichtes, rundes Wasserbecken, welches von außen mit Kopfsteinpflaster  überzogen ist und innen mit Mettlacher Mosaik ausgekleidet ist, ziert den Hof.

Dieser Vorhof vor dem Hauptportal bildet von nun an den Grundriss des neunstöckigen Jugend- und Gemeindezentrums. Der sechseckige Neubau streckt sich parallel zum Turm nach oben bis er auf gleicher Höhe mit einem Satteldach abschließt. Der derzeit ungenutzte Turm bekommt somit eine neue Nutzung als Treppenturm und verbindet sich geschossweise über schmale Brücken mit dem Neubau. Der Neubau nimmt das alte Stützenraster des Rundgangs auf und bildet somit ein Grundgerüst welches mit Fertigteilelementen ausgekleidet wird und somit weitestgehend rückbaubar ist. Die Fertigteilwände sind nach außen mit einer Oberfläche in Waschbeton-Negativform ausgeführt und die Deckenelemente sind außen ablesbar. Diese beiden Entwurfsaspekte zeigen auf, dass der Neubau sich passgenau in eine vorhanden Lücke einfügt und somit den Waschbetonabduck aufnimmt und die zurückgesetzten Deckenelemente des Bestandsturmes nun als vorstehende Deckenelemente des Neubaus wiederspiegelt. Im Kontrast zum Bestand sind die neuen Formen des Hochhauses klar gerichtet im Innern. Im Erdgeschoss befindet sich ein doppelgeschossiges Foyer , welches das ursprüngliche Kopfsteinpflaster als Bodenbelag behalten soll mit seiner Symbolik. Im ersten Obergeschoss ist die Empore des Bestandsgebäudes zugänglich und in den weiteren Obergeschossen befindet sich jeweils ein großer Raum, der auf der Nord- und Südseite jeweils von einem Erschließungskern mit kleinem Nebennutzungsraum umfasst wird. Der gesamte Neubau ist durch diese Grundstruktur sehr nutzungsflexibel. Im zweiten bis fünften Obergeschoss sind der Jugend-Freizeitraum, eine Küche mit Essbereich, sowie Gruppen- und Seminaraum angeordnet.

Im sechsten Obergeschoss befindet sich das Büro der Verwaltung, gefolgt von einem Technikgeschoss in dem auch Umkleiden und Duschen angeordnet sind. Denn im achten Obergeschoss befindet sich eine Sporthalle, welche mit einer besonderen Atmosphäre durch ihre doppelte Raumhöhe und einem weiten Blick über Saarbrücken zur sportlichen Betätigung motiviert.

Den ehemaligen Sakralraum betritt man über den Haupteingang im Foyer, welcher von acht schweren Holztüren gebildet wird. Im Inneren bildet ein konvexes Sechseck mit fast 450 Quadratmetern den ehemaligen Gottesdienstraum. Der fast 10 Meter hohe Raum wird von Betonrahmen konstruiert. Die Sichtbeton-Doppelstützen verjüngen sich nach oben hin, bis sie sich an der Trauflinie V-förmig auseinander spreizen und somit je zwei Kragarme nochmals verjüngend am First ankommen. Jedoch schließen sich die Träger jeweils nur in der Zwischendecke zu einem Rahmen. Dem Betrachter wird die Illusion vermittelt, die Kragarme würden sich nicht treffen und die Betonkonstruktion wäre zierlich und leicht. Die beiden langen Nord- und Südseiten bestehen überwiegend aus Betongussglasfenstern. Diese vom Künstler Boris Kleint entworfenen Fenster sind eine große Besonderheit. Es sind die ersten in ganz Deutschland, die mit dieser Technik erbaut wurden und sie haben daher einen besonderen denkmalpflegerischen Wert. Der gesamte Boden und Treppen sind mit weißem Mettlacher Mosaik ausgekleidet. Es ist eine Entsprechung zu erkennen mit dem Aufbau des Wasserbeckens im Vorhof. Dieser überaus besondere Raum soll baulich sowie atmosphärisch in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden, da durch eine zwischenzeitige Umnutzung durch die Musikhochschule ein paar Änderungen vorgenommen wurden. Der Raum soll hauptsächlich zu Theaterzwecken genutzt werden von den Jugendgruppen. Hierzu schließe ich den Hofbereich im Osten zu einem Gesamttrakt, der als Backstagebereich mit Proberaum, Werkstatt, Fundus und Bühnentechnik eine neue Nutzung bekommt. An der Nordseite des Kirchenraumes, wo sich ehemals die Beichtstühle befanden ist nun ein Buffet-Bereich angeordnet, der die alten Formen der Beichtstühle und des Seitenaltars aufnimmt. Die dort anschließende Taufkapelle wird zum Raum der Stille und erinnert an die ehemals sakrale Nutzung. Der Raum wird zum Vorhof hin geöffnet und ist jederzeit öffentlich zugänglich.

Das neue Jugend- und Gemeindezentrum ist ein zukunftsorientierter Entwurf für die Umnutzung nicht mehr tragbarer Kirchengebäude und ruft ein soziales Projekt ins Leben, welches dem Stadtviertel genügend Raum gibt für viele verschiedene Angebote.

Preisträger

BDA-Studienpreis Rheinland-Pfalz 2021 – AUSZEICHNUNGEN

Beurteilung der Jury

Schon lange werden Diskussionen um leerstehende Kirchengebäude geführt - wie kann deren Umnutzung gelingen? Hier wird eine denkmalgeschützte Kirche aus den 50er Jahren, heute in einem Brennpunktviertel gelegen, zum Jugend- und Gemeindezentrum umgebaut. So findet das Haus zu einer neuen, sozialen Aufgabe.

Bestechend an der Arbeit ist die clevere Nutzung und Umdeutung der vorhandenen Bauteile: Der Glockenturm / Campanile wird zur vertikalen Erschließung genutzt, der 10m hohe, sechseckige Kirchensaal als Theater- und Veranstaltungssaal. Er bleibt so in seiner Wirkung erhalten. Der eingeschossige offene Umgang, der die äußere Grenze des Ensembles bildet, wird teilweise mit flachen Anbauten für die neue Bühne sowie einem neunstöckigen Turm gefüllt. Im Turm befindet sich auf jeder Etage ein großer Raum, teilweise ist er doppelgeschossig. Diese Räume sind flexibel als Gruppen- / Seminar- / Freizeitraum zu nutzen. Es gibt auch eine Küche mit Essbereich, Verwaltungsbüros, Umkleiden und - als krönenden Abschluss - eine Sporthalle mit Blick über Saarbrücken. Die kleine Taufkapelle wird zum Raum der Stille und ist jederzeit öffentlich zugänglich.

Das reife Projekt zeigt "Weiterbauen" im besten Sinne. Die Grundgeometrie - Stützenraster, Sechseckform - wird weitergestrickt; Fassaden und Innenräume nehmen die originalen Proportionen und die Materialität auf (Waschbeton, Beton, Mosaikboden). Die Ergänzungen sind passgenau und mit Feingefühl in die vorhandene Struktur eingesetzt.