Preisträger BDA-Studienpreis Rheinland-Pfalz 2021

Autobahnkapelle A6 Kaiserslautern „Steine der Ruhe“

Kaiserslautern

Autobahnkapelle A6 Kaiserslautern „Steine der Ruhe“

Kaiserslautern
Architekt
Pascal Richter, Technische Universität Kaiserslautern
Betreuung
Prof. Dirk Bayer

Wie vielerorts in unserer Gesellschaft verschieben und verändern sich traditionelle Strukturen und Gewohnheiten. Auch die geistlichen Institutionen spüren diesen Wandel, denn je weniger die klas- sische Dorfkirche am Sonntagmorgen frequentiert wird, desto mehr gewinnen Gotteshäuser und Kapellen an vielbefahrenen Straßen unter PendlerInnen und FernfahrerInnen an spiritueller Bedeu- tung. Da die nächstgelegene Autobahnkapelle von Kaiserslautern mehr als anderthalb Stunden entfernt ist, galt es einen liturgischen Ort der Stille in einem Waldstück an der Autobahnausfahrt Mehlingen zu entwerfen.

Um das durch die ringsum laufende Straße bestimmte Grundstück als Gesamtanlage zu verstehen, orientiert sich die ovale Form der Kapelle am Straßenverlauf und positioniert sich an der höchsten Stelle des Geländes, wodurch das Gebäude zum einen als sinnbildliche Krone des Ortes inszeniert wird, zum anderen die Sichtbarkeit von der Autobahn gewährleistet ist.

Der Eingang des Gebäudes öffnet sich nach Westen zur Straße nach Kaiserslautern und dem bereits bestehenden Mitfahrerparkplatz und leitet in den kreuzartig aufgebauten Grundriss des Gebäudes, der vom Entrée aus in alle Richtungen schrittweise sakraler wird. Im Norden befindet sich ein zurückge- zogener Raum zur Marienanbetung, im Osten ein Raum zum Entzünden von Gedenkkerzen.

Der große Andachtsraum orientiert sich nach Süden, wobei sich der bedeutungsvollste Ort der Kapelle, der auf einem Sockel stehende gemauerte Altar, am Ende des Andachtsraumes in der Südspitze befindet. Um dieses Intensivieren der Sakralität vom Entrée aus zu unterstreichen, schwingt sich die mit sägerauen Holzbrettern geschalte Betondecke des Gebäudes an der südlichen und nördlichen Gebäudespitze nach oben, wodurch ein Bruch der Perspektive erwirkt wird, der die spirituelle Unfass- barkeit unterstreicht.

Statt Verbindungen und Ausblicken nach außen bietet die Kapelle ein introvertiertes Refugium für Reisende. Im Inneren findet dabei ein intensives Spiel mit Licht und Kontrasten statt: Die Kapelle besitzt keine klassischen Fenster. Die massiv aus gebrannten Ziegelsteinen gemauerten Außenwände des Gebäudes werden durch das Freilassen von Lücken zwischen den einzelnen Steinen perforiert und im Eingangsbereich frei durchwindet, in den Andachtsräumen mit Glasbausteinen gefüllt, die das von außen einstrahlende Licht kanalisieren und es vollflächig im Inneren wiedergeben. Hierdurch werden zusätzlich die Fügungspotentiale und die Ornamentik des Backsteins zelebriert, der als Material auf eine lange Tradition im Sakral- und Kirchenbau zurückblickt und außerdem durch seine Farbigkeit den Bezug zum charakteristischen und ortstypischen roten Pfälzer Sandstein herstellt. In der Spiegelung des göttlichen Scheins der perforierten Wände im geschliffenen Terrazzofußboden wird abschließend eine Verbindung des Übersinnlichen und des Weltlichen gesucht.

Preisträger

BDA-Studienpreis Rheinland-Pfalz 2021 – AUSZEICHNUNGEN

Eine Entwurfsaufgabe für eine Autobahnkapelle zu einem Zeitpunkt zu stellen, an dem Kirchen aufgrund des schwindenden Interesses der Gläubigen am Gottesdienst oder gar Austritten ihrer Mitglieder zuhauf leer stehen, zu Fresstempeln, Coffeeshops mit Buchläden oder gar Hotels umgebaut werden, zeugt von Mut. Dem Mut, sich nicht in den Strom zu begeben um mit zuschwimmen, sondern einen Beitrag zur geistigen und inneren Verfasstheit der Gesellschaft einzufordern, indem die Formen des Innehaltens und Besinnens neu interpretiert und ergründet werden müssen. Soweit die Aufgabenstellung, die durch den Lehrstuhlinhaber, Prof. Dirk Bayer vorgegeben war. 

Die Qualität der ausgezeichneten Studentenarbeit besteht in ihrer Natürlichkeit und Unverkrampftheit, mit der diese Neuinterpretation eines konfessionsunabhängigen Andachtsraums räumlich und materiell erkundet wird. Die Geometrie der Kapelle und ihre Situierung auf dem Grundstück erinnert an einen Findling. Ihr ovaler Grund weckt Assoziationen an einfache archaische Raumstrukturen: eine Jurte, afrikanische Hütten oder gar einen prähistorischen Erdbau - mit dem Unterschied, dass das Dach nicht inmitten der Struktur seinen räumlichen Höhepunkt erfährt, sondern zu beiden Enden des Ovals stark ansteigt. Eine einfache Raumfolge lässt ein Kreuz im Grundriss imaginieren, ohne zu explizit zu werden und entführt den Besucher über eine 90 Grad Drehung aus den Bindungen der realen Welt in die Stille des zentralen Andachtsraums. Bei der Dimension der Nebenräume und der Seitenandacht, bei der Wahl des Materials (Ziegel), der Staffelung der Fluchten, der Ausbildung von Nischen, Verjüngungen und Ausweitungen bleiben stets die gewählten Stilmittel, das Material und das Grundelement des Hauses - der einzelne Stein - spürbar. Die Atmosphäre und Anmutung der Innenräume entsteht nicht durch kontrastierende Farben und Materialien, sondern durch das subtile Variieren und Wiederholen des Elements zur Erzeugung einer Vielfalt in der Einheit. All dies ist ein Zeugnis großer entwerferischer Disziplin, Klarheit und Reife. Die Autobahnkapelle verdankt dieser Haltung ihre Würde und ihr Selbstverständnis, kein Objekt des Zeitgeists zu sein. Sie ist ihren Besuchern das, was der Titel verspricht: ein Stein der Ruhe. Man wünscht sich, dass die Pläne ihren Weg zur Realisierung finden.