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„Wert und Preis der Nachkriegsmoderne“ – 7. BDA Gespräch des Landesverbands Rheinland-Pfalz in Trier am 27. Oktober 2017

14. November 2017

BDA Rheinland-Pfalz
BDA Rheinland-Pfalz
Podiumsdiskussion von rechts: Prof. Alois Peitz, Stefan Krüger, Andreas Ludwig, Dr. Roswitha Kaiser, Nils Ballhausen, Marisia Conn, Claus Giersch

„Wert und Preis der Nachkriegsmoderne“  – 7. BDA Gespräch des Landesverbands Rheinland-Pfalz in Trier am 27. Oktober 2017

Der Ort der Veranstaltung war gut, aber war er auch für das Thema gut gewählt? Die übergroße Vitrine, mit der Oswald Mathias Ungers 1996 die römischen Gemäuer der Thermen am Viehmarkt eingehaust hatte, bot zweifellos einen imposanten Rahmen. Tief unter dem heutigen Trierer Straßenniveau, inmitten eines zweitausend Jahre alten Fundaments relativiert sich die Bedeutung, die der Nachkriegsmoderne derzeit beigemessen wird. Die vergleichsweise schmalen zweieinhalb Jahrzehnte nach 1945 haben aber auch in der ältesten Stadt Deutschlands ihre Spuren hinterlassen. Fragen nach dem adäquaten Umgang mit dem baulichen Erbe dieser Zeit stellen sich auch in Trier. Fünf Kurzvorträge und eine Podiumsdiskussion sollten die Lage erläutern.

Prof. Alois Peitz, Jahrgang 1932, bekleidete nicht nur 30 Jahre lang das Amt des Diözesanarchitekten im Bistum Trier, sondern hat als junger Architekt die Nachkriegsmoderne auch selbst erlebt. Um die Bauten aus jener Zeit zu begreifen, müsse man den damalige Zeitgeist verstehen. „Es geht alles! Alles ist machbar!“, dies sei in den sechziger Jahren die gängige Auffassung gewesen, nicht nur unter Architekten. Auch das Stadttheater in Trier, 1964 nach Plänen von Gerhard Graubner errichtet, verströme noch dieses Credo, stehe heute aber, nach jahrzehntelanger Vernachlässigung und Flickschusterei, auf dem Prüfstand. Nach einer Machbarkeitsstudie stehen nun Kosten im Raum, die die Sanierung für die klamme Kommune unmöglich erscheinen lassen. Peitz hingegen warb für einen angemessenen Umgang: die räumlichen und funktionalen Qualitäten des Gebäudes wieder bewusst machen und die Potentiale seines städtischen Umraums besser nutzen; auch der zur Erbauungszeit gestrichene Werkstatt-Trakt könnte ergänzt werden, um Mängel zu lindern.

Als Vertreter der Stadt riss Baudezernent Andreas Ludwig, seit 2015 im Amt, das städtebauliche Spannungsfeld an, in dem sich die Stadt Trier befinde: Römerzeit, Mittelalter und Moderne. Letztere sei durch positive Beispiele wie die Siedlung Mariahof (1961–68), die Siedlung Am Mohrbüsch, aber auch Einzelbauten wie das Humboldt-Gymnasium (1957–59) und die vom Staatlichen Hochbauamt errichtete Deutsche Richterakademie (1971–73) vertreten. Ludwig, selbst ausgebildeter Architekt, nannte aber auch negative Beispiele, etwa die allseits bekannte Horten-Fassade oder manche Funktionsbauten, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen zu sein scheint. Bei den kommunalen Bauten aus jener Zeit werde derzeit genau geprüft, ob sich der Erhalt rechnet oder sie durch Neubauten ersetzt werden.

 

 

 

Fotograf Helmut Bauer
Fotograf Helmut Bauer
Bild: Stadttheater Ingolstadt, Foyer, 1966 Architekten: Hardt-Waltherr Hämer, Marie Brigitte Hämer-Buro

Die Architektin Marisia Conn und der Restaurator Claus Giersch betreiben in Nürnberg das Architekturbüro Conn & Giersch. Seit 2006 engagieren sie sich für das Stadttheater Ingolstadt, ein im besten Sinne demokratisch-pathetischer Bau von Hardt-Waltherr Hämer. Der polygonale Sichtbetonbau reagiert feinfühlig sowohl auf die mittelalterliche Stadtstruktur wie auf die Festungsarchitektur Ingolstadts. Diese Qualitäten würden, so Conn und Giersch, in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr verstanden. Obwohl das Gebäude unter Denkmalschutz steht, tue sich die Stadt schwer mit einer Sanierung, erwogen werde ein Anbau oder ein Neubau an anderer Stelle. Die fein austarierte Innenausstattung des Hauses habe inzwischen an vielen Stellen gelitten; so werde der mit Wandbildern aus Blattgold künstlerisch überhöhte Sichtbeton seit Jahren mit Plakaten und Klebeband ruiniert. Absicht oder Ignoranz? Nach Hämers Tod 2012 übernahmen Conn und Giersch stellvertretend das Urheberrecht an dem Gebäude, sind also in die anstehenden Sanierung eingebunden – ein ungewöhnliches Beispiel für kollegiales Engagement.

Über die denkmalgerechte Sanierung der Staatskanzlei des Saarlandes referierte der Saarbrücker Architekt Stefan Krüger (Krüger Architekten). Am Beispiel der federleicht wirkenden Fassade des Atriums stellte er dar, was die Sanierung von Bauten der Nachkriegsmoderne eben auch bedeutet: das Arbeiten am architektonischen Detail unter den Zwängen von Energieeffizienz und Kostendruck. Die filigrane Glasfassade wurde nach umfangreichen Studien und Befunden schließlich so nachgebaut, dass sie vom Original kaum mehr zu unterscheiden ist. Am Beispiel der Innenausstattung, die nach originalem Vorbild wiederhergestellt wurde, machte Stefan Krüger nebenbei deutlich, welchen Aufwand die eigenmächtig durchgesetzten Geschmacksverirrungen früherer Ministerpräsidenten nach sich zogen. Die Beharrlichkeit der Architekten wurde zurecht mit dem BDA-Preis für Architektur und Städtebau im Saarland 2017 ausgezeichnet.

Als Landeskonservatorin der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz konnte Dr. Roswitha Kaiser bestätigen, dass die Nachkriegsmoderne in den Denkmalbehörden der Bundesrepublik seit einigen Jahren ein wichtiges Thema ist. Dass es kaum einheitliche Standards der Begutachtung und Bewertung gibt, liege auch daran, dass man es mit Bauten zu tun habe, die besondere Herausforderungen stellten, zum Beispiel durch spezielle Baukonstruktionen, die oft vom Materialmangel geprägt waren, durch bauphysikalische Extravaganzen, die irgendwann an die Substanz gehen, oder durch Schadstoffe, die früher einmal als Baustoffe galten. Ganz zu schweigen vom ganzheitlichen Design-Anspruch damaliger Architekten. Wie etwa soll man umgehen mit den bunt gemusterten Fliesenwänden in den Waschräumen des Mainzer Rathauses, die dringend ertüchtigt werden müssen?

Die vielen Ausrufezeichen jener Jahre („Alles ist möglich!“) scheinen sich heute in viele Fragezeichen verwandelt zu haben. Die Debatte über diesen Wandel, den städtebaulich-architektonischen wie den gesellschaftlichen, ist heute dringlicher denn je.

(Nils Ballhausen)

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